Fortpflanzung der Libellen
  Die Fortpflanzung der Libellen ist eine komplexe Angelegenheit und sehr spannend zu beobachten. Allen Libellen gemeinsam ist dabei die Bildung des bekannten Paarungsrades. Um zu verstehen, wie es zustande kommt, muss man etwas über die Fortpflanzungsorgane der Libellen wissen. Diese verfügen nämlich als einmaliger Fall bei den Insekten über sekundäre männliche Geschlechtsorgane in Form eines Begattungsapparates. Dieser befindet sich ganz vorne auf der Unterseite des Hinterleibes, während die primären Geschlechtsorgane mit dem Samenausführgang fast am Ende liegen. Das Männchen muss also vor einer Kopulation zuerst sein Sperma in eine Samenblase des Begattungsapparates übertragen. Dies geschieht, indem es seinen Hinterleib nach unten krümmt und die Geschlechtsöffnung nach vorne zum Kopulationsorgan führt. Dieser nur wenige Sekunden dauernde Vorgang kann vor oder nach Ergreifen des Weibchens stattfinden. Nachdem das Männchen das Weibchen mit seinen Hinterleibsanhängen ergriffen hat (bei den Grosslibellen am Kopf, bei den Kleinlibellen an der Vorderbrust) hebt es den Hinterleib an, während das Weibchen seinen nach vorne krümmt und so die Kopulationsorgane verbindet. Anschliessend geschieht etwas, das von zentraler Bedeutung für das Fortplanzungsverhalten der Libellen ist. Das Männchen entfernt oder überlagert nämlich bereits vorhandenes Sperma eines Vorgängers. Dazu muss man wissen, dass die Befruchtung der Eier nicht unmittelbar bei der Kopulation geschieht. Vielmehr ist es so, dass Libellenweibchen das Sperma zuerst in Samenbehältern lagern und die Eier erst bei der Eiablage befruchten. Da sich Libellen zudem häufig und mit unterschiedlichen Partnern paaren, kommt es zu einem grossen Wettstreit zwischen den Spermien der beteiligten Männchen, was mit dem Begriff "Spermakonkurrenz" (engl. "sperm competition") umschrieben wird. Die Fähigkeit, das Sperma eines Konkurrenten unschädlich machen zu können, bedeutet also, dass eine Paarung noch keine Garantie dafür ist, die eigenen Gene erfolgreich weitergegeben zu haben. Die Männchen sind daher gezwungen, unterschiedliche Taktiken anzuwenden, um dies sicherzustellen.


1. Das Weibchen fest im Griff

Die meisten Männchen der Kleinlibellen und einiger Grosslibellen halten das Weibchen über die Paarung hinaus fest und fliegen mit ihm im Tandem zur Eiablage. Vorteil dieses Verhaltens: Rivalen haben kaum eine Chance, das Weibchen zu schnappen, obwohl sie (besonders Heidelibellen) manchmal versuchen, das Tandem zu "sprengen", indem sie am Kopf des Männchens ankoppeln. Einen Nachteil, sich auf diese Art die Vaterschaft zu sichern, hat die Eiablage im Tandem jedoch; die Männchen sind dabei einem höheren Risiko ausgesetzt, einem Fressfeind zum Opfer zu fallen.
Fortpflanzungsverhalten der Gemeinen Becherjungfer Fortpflanzungsverhalten der Kleinen Königslibelle Fortpflanzungsverhalten der Grossen Heidelibelle

   2. Das Weibchen bei der Eiablage bewachen

Bei manchen Libellenarten bleibt das Männchen nach der Paarung in der Nähe des Weibchens und begleitet es anschliessend zur Eiablage. Dort bewacht es das Weibchen und vertreibt andere Männchen. Im Gegensatz zu den anderen einheimischen Libellen zeigen die Prachtlibellen zudem ein ausgeprägtes Balzverhalten.

Fortpflanzungsverhalten der Gebänderten Prachtlibelle Fortpflanzungsverhalten des Südlichen Blaupfeils

  3. Eiablageplätze intensiv überwachen

Bei einigen Arten legen die Weibchen die Eier immer unbewacht. Hier besteht die Strategie der Männchen darin, die Eiablageplätze intensiv zu überwachen, alle Konkurrenten zu vertreiben, jedes eierlegende Weibchen sofort zu ergreifen (Video) und sich mit ihm zu paaren (letzteres trifft jedoch nicht auf alle Arten zu).

Fortpflanzungsverhalten der Blaugrünen Mosaikjungfer Fortpflanzungsverhalten der Grossen Königslibelle

  Fortpflanzungsverhalten der Libellenweibchen

Libellenweibchen verbringen die meiste Zeit abseits von Gewässern auf Nahrungssuche und kommen im allgemeinen nur zur Fortpflanzung ans Wasser. Bei einer Paarung können sie einen Spermavorrat anlegen und dadurch auch ohne weitere Kopulationen eine Zeitlang Eier legen. Zur Eiablage kommen sie dann in direktem, geradlinigem Flug ans Gewässer und wenden verschiedene Strategien an, um ungewollten weiteren Paarungen zu entgehen:

 
  Während der Hauptflugzeiten patrouillierender Männchen (und damit bei der grössten Männchendichte) haben Weibchen kaum eine Chance unbehelligt Eier zu legen (Ausnahmen: Grosse Königslibelle, Braune Mosaikjungfer). Und selbst wenn es ihnen mal gelingt, die Männchen der eigenen Art auszutricksen, kann es vorkommen, dass sich bei der Eiablage "sexhungrige" Männchen anderer Arten an ihnen vergreifen. (Beispiel 1) (Beispiel 2) (Beispiel 3)

Bei der Eiablage unterscheidet man zwei Typen, die 'endophytische Eiablage', bei der die Eier in Pflanzengewebe eingestochen werden, und die 'exophytische Eiablage', bei der die Eier aus dem Flug abgeworfen oder an einem Substrat (auch an der Wasseroberfläche) abgestreift werden.

Während der Eiablage sind die Libellenweibchen (und bei der Tandemablage auch die Männchen) einem erhöhten Risiko durch Fressfeinde (hauptsächlich Frösche) ausgesetzt. (Video)
 zurück zur Lebensweise